Gedanken zur Wahl



https://bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse.html

Bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag hat sich der Rechtsruck der Republik in den Wahlergebnissen entladen, das erste Mal seit 1945 wird wieder eine rechte Partei im Reichstagsgebäude Platz nehmen. Alternative für Deutschland schnitt mit 12,6% ab; in Sachsen, dem Heimatland der Pegida-Bewegung wurde sie mit 27% stärkste Kraft. Seit einem Jahr wohne ich nun in Sachsens zweitgrößter Stadt Leipzig, bin also Neu-Ostler. Seit der Wahl treiben mich so einige Gedanken über die politische Lage in diesem Land um.
Zunächst wurde mir wieder bewusst, wie sehr ich doch in meiner eigenen Blase lebe. Ich selbst bin politisch eher links eingestellt, meine Geschwister sind aktiv bei der Grünen Jugend und der Partei Die Partei, keiner meiner Freunde hat AfD gewählt, in meinen Social-Media Feeds wurde mir nur Wahlwerbung der Grünen, der Linken und der SPD angezeigt, alle Influencer denen ich folge sprachen sich gegen rechte Parteien aus, die Legida-Gruppe (die immer weiter an Zuspruch verliert) habe ich noch nie wahrgenommen. Schlicht gesagt: In meinem Umfeld existiert die AfD nur in der Ferne: in Fernsehtalkshows, in Satiresendungen, als Spinner mit total bescheuerten Ansichten, die keiner ernst nehmen kann.
Am Sonntag mit den ersten Prognosen und Hochrechnungen ist diese Blase zerplatzt. Dass die AfD in den Bundestag einzieht war zu erwarten, dass die allerdings drittstärkste Kraft geworden ist, hat mich dennoch schockiert. Und dann dieses Ergebnis in Sachsen, meiner neuen Wahlheimat! Man muss diese „Spinner“ eben doch ernst nehmen.
In meiner Heimatstadt liegt der Ausländeranteil bei etwa 30%. Wir reden hier allerdings nicht von einem Stadtteil Berlins oder Kölns, sondern von einer Kleinstadt am Rhein. Mitschüler mit Migrationshintergrund waren eine Selbstverständlichkeit, in der Innenstadt gibt es wahrscheinlich mehr Dönerläden und asiatische Restaurants als Geschäfte, in meiner katholischen Pfarrkirche findet auch der armenische Gottesdienst statt und auf dem zentralen Platz der Stadt ist man immer umgeben von mehreren Sprachen und Nationen. Die Stadt ist stolz auf die Gründungsgeschichte und die von Religionsfreiheit von Anfang an, was die Siedlung von mehreren verfolgten Minderheiten zur Folge hatte. In diesem Umfeld bin ich aufgewachsen. Genau wie Björn Höcke übrigens, der in der gleichen Stadt auf dem anderen Gymnasium sein Abitur gemacht hat (dazu hier ein guter Artikel aus der Zeit >>).
In Sachsen liegt der Ausländeranteil bei etwa 4%. Bis ich die erste Frau in Burka in Leipzig gesehen habe hat es etwa ein halbes Jahr gedauert, Moscheen gibt es 5 auf etwa 540.000 Einwohner (zum Vergleich: in Dortmund gibt es bei 580.000 Einwohnern 41 eingetragene Moscheen), wenn man sich nicht auf der Eisenbahnstraße befindet hört man selten eine andere Sprache (abgesehen von dieser seltsamen Sprache der Einheimischen). Und gerade hier haben die Menschen eine solche Angst vor Überfremdung und Islamisierung.
Die AfD wiederspricht all meinen ethischen und politischen Werte: Weltoffenheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Mitgefühl. Sie steht für Abgrenzung, Ablehnung, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit. Sie verträgt sich meiner Meinung nach nicht mit dem wichtigsten der christlichen Werte, die sie angeblich zu verteidigen sucht: der Nächstenliebe. Wieso Menschen eine Partei wählen, die Strafmündigkeit auf 12 Jahre heruntersetzen, unbezahlten „Staatsdienst“ für Arbeitslose einführen, die Medien -besonders die öffentlich-rechtlichen -  einschränken möchte, den Austritt aus der EU anstrebt und eine Flüchtlingspolitik fordert, die die Beschränkung eines Grundrechts und die Bildung von Internierungslagern in Afrika und dem Nahen Osten bedeutet, will mir nicht in den Kopf gehen. Und das gerade die über Ãœberfremdung und Islamisierung schimpfen sowie das Deutschland Deutschland bleiben muss, die von Migration am wenigsten betroffen sind ist mir ein Rätsel. Selbst in einer Stadt wie Leipzig, die als linke Hochburg gilt, eine Studentenstadt, hat die AfD beachtliche Anteile über dem Bundesdurchschnitt eingefahren. Ich bin erschüttert über die Wahlergebnisse, etwas ratlos, was die nächsten Jahre bringen werden und enttäuscht. Enttäuscht, weil ich bis zu Letzt gehofft hatte, dass die neuen Rechten im Parlament eine möglichst kleine Fraktion bilden werden, weil die AfD in Sachsen anscheinend mit ihren rechtspopulistischen Parolen die meisten Wähler angesprochen hat, enttäuscht, weil ich von meinem Leipzig mehr erwartet hatte. Einem Leipzig dem sich im März etwa 150 Nazis 2000 Gegendemonstranten entgegengestellt hatten, eine Stadt mit 37.000 Studierenden und einem Bürgermeister der SPD, eine Stadt deren Bevölkerung mit den Montagsdemonstrationen maßgeblich zur friedlichen Revolution beigetragen hat.
Auch ich kenne die Lösung des Problems nicht, weiß nicht, wie man die Leute, die sich von der Politik vernachlässigt und abgehängt fühlen wieder abholt. Ich bin mir dennoch sicher, dass unsere Demokratie diese Legislaturperiode aushalten wird. Sie wird vielleicht nicht bequem, aber wir werden sie überstehen, und vielleicht ist es sogar gut, weil es den politischen Diskurs entfacht. Nur eines ist sicher: Die AfD muss sich nun beweisen im Bundestag.
Eigentlich gehe ich ja nicht so oft auf politische Themen ein (bisher eigentlich nur einmal) aber diese Gedanken musste ich einfach mal loswerden. Europa und ist unsere Heimat und wir müssen uns vereint gegen die Rechtspopulisten wie Geert Wilders, Ukip, den Front National und die AfD richten für ein offenes, tolerantes, klimafreundliches Europa der Zukunft.

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